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Interview mit Chaim Urbach, Rabbiner der jüdisch-messianischen Gemeinde Yeshuat Tsion – Rettung aus Zion – in Denver, CO., USA

Wie ist Ihre Gemeinde entstanden?

Wir fingen 1990 als Chawurah mit 15 Leuten an. Seit 1977 hatte ich als Laie gedient und wurde 1987 ordiniert. Meinen Abschluss machte ich 1991 im Seminar von Denver.

 

Sind Sie Rabbi oder Pastor, und machen Sie einen Unterschied zwischen beiden?

Ich bezeichne mich zunächst als jüdisch-messianischen Rabbiner, weil ein geistlicher Leiter in der jüdischen Kultur „Rabbiner“ genannt wird. So wurde auch Jeschua von seinen Jüngern „Rabbi“ genannt (Mk 9:5; 10:51).

Pastor ist eine wunderbare Bezeichnung, denn sie bezeichnet jemanden, der Jeschuas Herde führt. Das entspricht ziemlich genau dem, was ich tue (leiten). Aber es passt nicht zu unserer Kultur und dies war ausschlaggebend.

 

Unterstützt Ihre Gemeinde Israel und wie äußert sich das?

Wir unterstützen einige Dienste in Israel. Diese Dienste kümmern sich um arme Leute und bringen die Frohe Botschaft von Jeschua.

Wir feiern Jom haAtzma'ut und andere Festtage, die mit Israel und seinem Überleben zu tun haben.

 

Was ist Ihre Sicht von Gesetzeswerken und von Gnade? Sollen die messianischen Juden die Torah einhalten?

Gnade und Torah gehören zusammen. Ich möchte zunächst kurz schildern, inwiefern Torah und Gnade zusammenhängen. In Johannes 1:17 vergleicht Johannes Jeschua (Gott, der Fleisch wurde) mit Mose. Jeschua offenbarte die Gnade und Wahrheit Gottes wie kein Mensch vorher (z.B. Hebr 1:1). Und doch gehört die Gnade Gottes zur Torah. Die Torah wurde als Bestandteil von Gottes Gnade an Israel gegeben (Ex. 19:5-6) und die Rabbis sahen in der Torah einen Ketubba (einen Ehevertrag zwischen Gott und Israel). Durch die Torah wird Gottes Liebe überreicht, denn Er will eine Nation von Knechten als Sein kostbares Volk absondern. Das Schlüsselwort für Gottes Liebe im AT heißt chesed, was „verpflichtende, treue Bundesliebe“ bedeutet (Jes 54:8).

„Torah“ wird besser mit „Weisung“ als mit „Gesetz“ übersetzt. Die Torah enthält Gesetze und Ordnungen, sie wurden aber als Gottes Weisungen gegeben (in Ps 25:8 finden wir z.B. die selbe Wurzel joreh). Im NT finden wir viele (1050) Gesetze. Das bedeutet, dass Gottes Gebote im Neuen Bund nicht aufgehört haben.

 

Wie sollen Gläubige die Torah halten?

Die Torah wurde nicht aufgelöst. Jeschua hat dies eindeutig klargestellt (Matth 5:17). Wir leben jetzt unter einem anderen System (dem Neuen statt Mosaischen Bund), aber die Torah (Gottes Anweisungen) behält weiterhin ihre moralische Autorität für uns. Den frühen Jeschua-Gläubigen aus den Juden war das klar (Apg 21:21-26).

Paulus belehrt Timotheus darüber, dass die Torah zusammen mit den Propheten und den Schriften in den Versammlungen öffentlich vorgelesen werden sollte (1 Tim 4:13). Er erklärt auch, dass die Torah so wie die anderen Schriften das inspirierte Wort Gottes ist und dass wir sie einhalten sollen, denn sie gilt uns (2 Tim 3:16). Wenn wir Gottes Gebote einhalten, zeigen wir dadurch unsere Liebesbeziehung zu dem Herrn (Joh 14:15; Deut 11:1; 30:16).

Wenn wir Juden den Schabbat und die anderen Festtage halten, ist es auch der sichtbare Ausdruck dafür, dass die Torah die Gabe Gottes an uns ist. Den Jeschua-Gläubigen aus den Nationen steht es frei, dieselben Feiertage und andere Bräuche aus der Torah mit uns jüdischen Gläubigen zu halten. Dies steht im Einklang mit der Einladung Gottes an die Fremden, die in Israel wohnen, am geistlichen Leben in Israel teilzunehmen.

Es gibt Unterschiede in der Art, wie wir die Torah einhalten. Die Schriften sagen eindeutig, dass die Einhaltung der Torah – besonders

der zeremoniellen Bestimmungen wie z.B. der Koscher – für bestimmte Gläubige anders aussehen können (Rö 14:1-23; Kol 2:16). Es wird uns gesagt, dass wir niemand richten sollen wegen der Art, wie die Torah eingehalten wird.

 

Was verstehen Sie unter „ein wahrer Jude“ sein?

  1. Ein „wahrer Jude“ ist jemand, der ein glühendes, mitfühlendes Herz für sein Volk, Israel, hat.

  2. Er ist jemand, der stolz darauf ist, ein Jude zu sein.

  3. Er ist jemand, der sich dafür engagiert, die nächste Generation in der jüdischen Tradition zu erziehen.

  4. Er ist jemand, der verstanden hat, wie kostbar Israel in den Augen Gottes ist.

Ein messianischer Jude ist jemand, der alle o.g. Punkte erfüllt und ein glühender Nachfolger Jeschuas ist. Er fühlt sich wohl mit Gläubigen aus den Nationen, die eine starke, Ruth-ähnliche Verbindung mit Israel (ein jüdisches Herz) haben.

 

Wie kamen Sie zum Glauben an Jeschua?

Ich wurde gläubig durch den Einfluss meiner Eltern, die selbst ein paar Jahre vorher  – wie vom Blitz getroffen – gläubig geworden waren. Mit 12 Jahren nahm ich Jeschua in Jerusalem an, und dieser kindliche Glaube wuchs nach Jahren der Erprobung zu mündigem Glauben. Ich bin in Israel geboren, und als ich drei Jahre alt war, wanderte meine Familie nach Brasilien aus. Dort nahmen meine Eltern Jeschua an. Zwei Jahre später kamen wir nach Israel zurück und gingen in eine jüdisch-messianische Gemeinde in Jaffa. Diese Gemeinde wurde von einem russischen Juden namens Schlomo Ostrovsky geleitet, der als Teenager aus Kischinev nach Israel ausgewandert war. Schlomo war durch den Dienst von Joseph Rabinowitz zum Glauben an Jeschua gekommen. Unsere Familie gehörte zu dieser Gemeinde, bis wir 1964 Israel verließen. Ein Jahr vorher war ich an einer Ferien-Bibelschule in Jerusalem, die von einer Missionarin aus der Schweiz namens Anne Tischtein geleitet wurde. Sie forderte mich und die anderen Kinder heraus, Jeschua als unseren Messias anzunehmen. Das tat ich, und seitdem ist mein Leben ein Glaubensweg geworden.

Wenn jemand durch den Einfluss seiner Eltern gläubig wird, muss er einen Reifungsprozess durchmachen, in dessen Verlauf Gott durch den feurigen Ofen der Zweifel und Fragen zur Realität wird. Dabei erwies sich der Herr als treuer Helfer. Nach einem sechs Jahre langen geistlichen Winterschlaf erwachte ich, um festzustellen, dass die Gegenwart und Gnade Gottes weit intensiver waren als je zuvor.

 

Was war die Besonderheit Ihrer ersten messianischen Gemeinde in Jaffa?

In Jaffa war es eine kleine Gemeinde, die aus russischen, polnischen Juden und einer Familie von russischen Gläubigen (Sobbotniks?) bestand. Sie war den Brüdergemeinden angegliedert. Am Schabbat wurden Juden umsonst ärztlich versorgt. Das Personal der Klinik bestand aus Dr. Juk (einem messianischen Juden) und einer russischen Krankenschwester (Ada Dosik). Nach der ärztlichen Versorgung hatten wir Gottesdienst. Es wurde in der Regel auf Hebräisch und Russisch gepredigt. Manchmal kamen arabische Brüder aus einem Dorf in Galiläa (Kafr Yassif), ab und zu hatten wir auch englischsprechende Touristen. Mein Vater machte auch manchmal mit und übersetzte. Im letzten Jahr dort (1963-64) sandte die anti-messianische Organisation Jad L'Achim meinem Vater einen Drohbrief, in welchem er davor gewarnt wurde, in der Gemeinde weiterzumachen, was er auch für ein paar Wochen tat, dann aber hatte er den Eindruck, „man muss

Gott mehr gehorchen als Menschen“.

Wie hat sich das geistliche Leben in Ihrer Familie in Amerika entwickelt?

(1960-70 war die die Zeit der Hippies, der jüdischen Erweckung und der Entstehung der messianischen Bewegung)?

1964 kamen wir nach Toronto, wo wir einer Brüdergemeinde und einem Dienstwerk für die Juden angegliedert waren. 1967 kamen wir nach New York, wo mein Vater eine Ausbildung bei der ABMJ (American Board of Mission, jetzt Chosen People Ministries) durchmachte. Damals gab es keine jüdisch-messianische Gemeinden in den USA. Mein Vater wurde 1970 nach Denver, CO versetzt, um das ABMJ-Dienstwerk (American Board of Missions to the Jews) zu übernehmen.

In den 70er Jahren nahm die jüdisch-messianische Bewegung an Bedeutung zu. Viele junge Juden, die geistlich auf der Suche waren, kamen zu meinen Eltern und wurden Mitglied der Gemeinde namens Beth Sar Shalom. Es war eine Zeit eines großen geistlichen Aufbruchs. 1977 fing meine Mitarbeit in der Gemeinde Beth Sar Shalom an und 1980 wurde die erste jüdisch-messianische Gemeinde namens Roeh Israel in Denver gegründet. Jetzt leite ich eine andere jüdisch-messianische Gemeinde namens Yeshuat Tsion und bin auch Lehrbeauftragter für messianischen Judaismus an der Theologischen Hochschule in Denver.

 

Was bedeutet das Bringen der Guten Nachrichten den Juden für Sie?

Es fängt damit an, dass man ein Herz hat, dass die Liebe Jeschuas zu seinem Volk widerspiegelt (Matth 23:39; s. auch Paulus in Rö 9:1). Grundlage ist das Verlangen Gottes zu sehen, wie die Gottlosen umkehren (Hes 18; 2 Petr 3:9). Notwendig dazu ist eine unerschütterliche Hingabe in der Fürbitte – sonst ist Evangelisierung nichts anderes als der Verkauf eines guten Produkts. Damit kann die Kraft Gottes die Blinden sehend machen. Evangelisierung erfordert eine Freundschaftsbeziehung mit denen, die einen Hunger nach Gott haben. Es geschieht auch durch unterschiedliche öffentliche Formen der Evangelisierung, auch durch die Medien. Die Schriften sagen uns, wir sollen auf einen hohen Berg steigen, um die Gute Nachricht zu predigen (Jes 40:9).

 

Was sagen Sie als Bibelschullehrer zu Ihren Studenten in Bezug auf den jüdischen Kontext der Schriften? Was ist da wichtig für Sie?

Ich lehre die jüdische Kultur, die der Hintergrund der Offenbarung Gottes durch Sein Wort ist. Am wichtigsten ist es für mich dahin zu arbeiten, dass meine Studenten die Bündnisse Gottes mit Israel verstehen – für uns ist dies grundlegend. Ich sage ihnen, dass messianischer Jude zu sein vor allem bedeutet, ein Nachfolger des Messias zu sein. Jeschua muss der Mittelpunkt unseres Lebens sein.

 

Haben Sie jemals antisemitische Tendenzen unter Ihren Studenten festgestellt? Oder in den amerikanischen Kirchen?

Unter meinen Studenten habe ich nie antisemitische Tendenzen festgestellt. Wenn ich in Kirchen gepredigt habe, habe ich eher Ahnungslosigkeit und geistliche Kurzsichtigkeit festgestellt statt Antisemitismus.

 

Wie sehen Sie die Zukunft für die messianische Bewegung?

Die Zukunft gehört uns – Sach 12:10. Wir kommen dahin.

 

Was wünschen Sie der messianischen Bewegung?

Geistliche Reife, Tiefe, Wissen über Gott und Seine Kraft. Ein brennendes Herz für unser Volk.

 

Vielen Dank!

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