Interview mit Marcello Cicchese, Mathematikprofessor der Universität in Parma, Italien (heute in Ruhestand), Blogger und Schriftsteller
Marcello, Du bist Italiener und liebst Israel. Wie bist du dazu gekommen?
Beim Lesen der Schrift. Eigentlich war ich nicht an Israel interessiert. Ich wurde gläubig, als ich 18 Jahre alt war und mein Professor war ein Jude, aber das war von keiner Bedeutung für mich. Zum ersten Mal beim Lesen des Römerbriefs habe ich bemerkt, dass das Thema Israel vom Anfang bis zum Ende behandelt wird. Das war für mich eine Überraschung. Ich dachte, allein die Kapitel 9-11 würden Israel behandeln, aber warum jetzt das? Daher hat mich dieses Thema immer mehr interessiert. Und da gab es die Eschatologie. Mir wurde klar, dass die Geschichte nicht mit der Zerstörung des Tempels enden kann. Es muss etwas anderes gegeben haben. Die Geschichte geht weiter und Israel behält noch ihren Platz, aber welchen? Ich konnte diese Frage nicht beantworten, aber mein Interesse galt der Schrift, aber auch der Geschichte.
Ich war in Deutschland, wo ich dich kennen gelernt habe, aber vorher hatte ich beschlossen, da ich die deutsche Sprache mag, eine Zeit mit meiner Frau dort zu verbringen. Dort habe ich in einer evangelischen Zeitschrift gelesen, dass es eine Konferenz über Israel gibt. Da waren wir am Ende unseres Aufenthalts, und der Redner sagte, dass nach der Proklamation des Staates Israel durch Ben Gourion fünf arabische Länder Israel angegriffen haben. Ich wusste eigentlich gar nichts darüber. Wieso wusste ich in meinem Beruf gar nichts darüber? Ich war von meiner Ignoranz überrascht! So habe ich angefangen, Bücher über die Geschichte Israels zu lesen. Natürlich las ich die Bibel weiter, aber auch Bücher über die zionistische Bewegung. So habe ich viel gelernt und mir wurde klar, dass man etwas machen muss, damit andere solche Dinge erfahren, denn ich merkte, dass nicht nur ich, sondern auch andere unwissend sind. So fing ich an, Artikel für Zeitschriften zu schreiben. So fing es an.
Wie bist du eigentlich zum Glauben gekommen?
Ich bin in einer katholischen Familie aufgewachsen, war aber mit ca. 15 Jahren an der Religion nicht mehr interessiert. Diese Sache überzeugte mich nicht, obwohl ich nichts gegen die Kirche hatte; ich war skeptisch, ein Agnostiker, und dachte, wenn es einen Gott gibt, kann er nicht zufrieden sein, wenn ich handele, wie ich glaube. Wenn Gott existiert, will ich ehrlich sein! Aber eigentlich hatte ich keinen Frieden – wie die meisten Menschen.
Dann wurde ich zu einer Konferenz eingeladen und habe von Luther gehört. Schließlich habe ich angefangen, das Neue Testament zu lesen, um zu wissen, was darin steht. Alles aber war schwer zu verstehen und es gab für mich viele Fragen. Dann las ich im Evangelium: "Darum rede ich in Gleichnissen zu ihnen, weil sie sehend nicht sehen und hörend nicht hören noch verstehen; und es wird an ihnen die Weissagung Jesajas erfüllt, die lautet: "Mit Gehör werdet ihr hören und doch nicht verstehen, und sehend werdet ihr sehen und doch nicht wahrnehmen; denn das Herz dieses Volkes ist dick geworden, und mit den Ohren haben sie schwer gehört, und ihre Augen haben sie geschlossen, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile." (Matth 13:13-15).
Das hat mich sehr angesprochen. Es besteht also die Möglichkeit, dass man lesen und doch nicht verstehen kann, und ich sagte mehrmals, ich verstand nicht, was es bedeutete. Also hängt es vielleicht von mir ab! Wenn es so ist, dann ist es kein Widerspruch. Ich habe weiter im Neuen Testament gelesen und viele evangelische Kirchen besucht.
Dann kam ich in eine anglikanische Kirche! Da lief eine Zeremonie mit einer Prozession; alles zwar nicht sehr biblisch, was ich auch nicht verstand, aber ich wollte mich nicht
von dem zurückhalten lassen, was ich nicht verstand. Ich hatte jedenfalls viele Fragen, und ich erinnere mich, dass ich gedacht habe: „Herr, wenn Du da bist, dann offenbarst Du selbst es mir!“ Und ich glaube, das ich das getan habe, was man tun soll, um dem Heiligen Geist zu zeigen, dass ich tatsächlich glauben wollte.
Es sei gut, wirklich und ehrlich an Gott zu glauben. Aber ich wollte nicht einen Glauben haben, nur weil es bequem, schön und gemütlich ist. Nein, das wollte ich nicht! Das ist Selbstbetrug. Nur, wie kann man sicher sein? Ich bin eigentlich sehr kritisch. Nun, man kann vielleicht zu 99 Prozent sicher sein, aber wenn man nur zu 1 Prozent unsicher ist, dann ist es kein Glaube, weil es vielleicht nicht wahr ist! Wie kann ich nun glauben? Ich dachte, es sei für mich sehr schwierig, zum echten Glauben zu kommen. Ich hatte nun angefangen, im Neuen Testament zu lesen; gleichzeitig musste ich eine Diplomarbeit schreiben, eine harte Arbeit.
Aber ich las weiter und war zu den Briefen von Paulus gekommen, aber irgendwie musste ich noch einmal die Bergpredigt im Evangelium von Anfang an lesen.
Ich las und las, und wusste im selben Moment, dass Jesus Christus im Heiligen Geist zu mir sprach. Am Ende las ich einen Vers, wo ich die Autorität des Wortes spürte: „Bittet, und es wird euch gegeben werden; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch geöffnet werden! Denn jeder Bittende empfängt, und der Suchende findet, und dem Anklopfenden wird geöffnet werden.“ (Matth 7:8) Das war die Antwort!
So bin ich zum Glauben gekommen, aber ich wusste noch ganz wenig, was das alles bedeutet. Ich bin nicht zum Glauben gekommen, weil ich sicher war, dass ich ein Sünder war und ich mich bekehren musste. Aber wenn dieser Mann meint, was er sagt, dann ist er eine Autorität und ich muss hören. Wenn ich die Bibel lese, dann finde ich dort, dass ich ein Sünder bin. Das bin ich! Der Heilige Geist bringt mich zu dieser Überzeugung, indem ich die Bibel lese. Aber ich hatte schon vorher geantwortet. Jetzt glaube ich und danke Gott dafür. Nicht die Gemeinde hat mich überzeugt, sondern nur die Heilige Schrift durch die Hilfe des Heiligen Geistes. So bin ich besonders dankbar, denn ich erkenne drei Personen in dem, was geschehen ist: Jesus, die Schrift und den Heiligen Geist. Denn die Verse hatte ich schon gelesen und sie hatten mich nicht überzeugt. Nun aber war ich überzeugt! Es ist der Heilige Geist, der mich durch dieses Wort überzeugt hat. Ich war anderen gegenüber sehr kritisch und konnte keinem Menschen glauben. Gott aber ja! Dann erst habe ich Gemeinschaft mit Geschwistern gesucht und dann endlich gehabt, als ich Mitglied der Gemeinde wurde, in welcher ich getauft wurde.
Vielleicht hat es damit zu tun, dass Du Mathematikprofessor bist …
Nein, damals dachte ich noch nicht, dass ich Mathematiker werde.
Wie hat dann das Thema Israel Deinen Glauben bereichert? Ist es überhaupt eine Bereicherung?
Absolut! Es war eine entscheidende Bereicherung. Alles, was ich vorher glaubte, ist natürlich geblieben, aber es gab Seiten der Schrift, der Offenbarung, worüber ich nicht nachgedacht hatte und so weiter; und tatsächlich, die Person Jesus ist für mich konkreter geworden, biblisch und historisch. Israel bedeutet wirklich Geschichte. Vor allem unser evangelischer Glaube hat wenig Bezug zur Geschichte und zur Realität. Was hat Gott konkret mit seinem Volk vor? Es ist eine wichtige Frage. Es steht wirklich geschrieben, was Gott mit diesem Volk vorhat. Das hilft mir auch, wenn ich die Bibel lese.
Du hast mit Recht gesagt, dass der Glaube der Evangelikalen oft nicht mit der Geschichte zu tun hat. Seitdem du wirklich verstanden hast, dass Israel wichtig ist, wie wirkt sich dieses Wissen, dieser Glaube, diese Verbundenheit mit der Schrift und Israel aus?
Ich suche meinen richtigen Platz und weiß, dass Gott mich gebrauchen möchte. Ich habe, glaube ich, die Aufgabe, andere Leute zu gewinnen. Ich habe keine besonderen Beziehungen zu den Juden und suche sie nicht. Ich habe zwar einige Kontakte, aber sie sind einfach gekommen. Zum Beispiel wurde ich von einem italienischen Juden besucht, er hat mit mir telefoniert und wir bleiben jetzt in Kontakt. Ich kenne aber den Rabbiner meiner Stadt nicht …
Gibt es jetzt welche?
Ja, in den letzten Jahren. Ich habe erfahren, dass ein Rabbiner in Parma ist. Er hat die Aufgabe, in Parma und vielleicht auch woanders zu dienen. Es heißt, er sei der Rabbiner von Parma. Ich kenne ihn aus Konferenzen, aber ich habe keinen Kontakt zu ihm. Ich glaube, ich habe die Aufgabe, in meiner Gemeinde zu dienen, damit wir im Glauben und in den Erkenntnissen wachsen, auch damit wir gute Entscheidungen treffen …
Aber Du hast auch eine Internetseite, die inzwischen sehr bekannt geworden ist, und Du schreibst Bücher.
Ja. Wie kam ich zu dieser Internetseite? Die wichtigsten Dinge, die ich zusammen mit Gott getan habe, habe ich nicht selbst beschlossen. Ich las die Nachrichten aus Israel auf Deutsch und merkte, dass es etwas sei, dass auch andere Leute wissen müssten. So habe ich angefangen, Newsletter für die Leute, die ich kenne, zu schreiben. Es war die Zeit der Antifada, die eine Lüge der Palästinenser ist; und ich dachte, man sollte es wissen. Dann hat man mich gefragt, ob man diese Nachrichten für die Internetseite der Gemeinde schreiben könnte. So habe ich angefangen und habe auch andere Leute kennengelernt, die mich auch danach gefragt haben. Und als ich gemerkt habe, dass dieser Dienst für andere nützlich war, fing ich an zu glauben, dass dieser Dienst im Moment dran war. Es steht geschrieben: „Was dir vor die Hände kommt, tue es mit deiner Kraft.“ (Pred 9:10) Wenn ich etwas Nützliches für andere mache, dann fühle ich mich verpflichtet, es so gut wie möglich zu machen. Ein kleiner Dienst, aber das muss man gut machen.
Und welche Ergebnisse hast Du
schon dadurch erzielt?
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Eine ganze Menge nach 13 Jahren. Viele Beziehungen sind entstanden.
Wie viele Leute besuchen Deine Internetseite? Kennst Du die Zahlen?
Ich kann es nur einschätzen durch die vielen Nachrichten, die ich bekomme. Es sind natürlich viele evangelische Christen, aber in letzter Zeit auch viele Juden. Die Juden, die sich für Israel interessieren, sind aber nicht die Mehrheit. Aber ich empfinde es als meine Pflicht und so findet man auf meiner Seite so viele Nachrichten, die gut zu wissen sind.
Kannst Du sagen, wie viele Leute Deine Seite am Tag oder im Monat besuchen?
Ich führe keine Statistiken aber ich habe mir schon manchmal Zahlen notiert. Es waren am Anfang 150 bis 250 pro Tag. Aber in den letzten Monaten haben wir einen Boom, bis 850 Besucher pro Tag. Das hat mich überrascht. Das kann nur dadurch zustande kommen, dass viele meine Nachrichten an andere weitergeben. Ich weiß, in Israel sind ein paar jüdische Frauen aus Italien, die meine Nachrichten lesen und darüber sprechen. Zwei von ihnen sind besonders aktiv, das habe ich aus jüdischen Kreisen erfahren. Auf der Seite steht geschrieben, dass diese Seite durch den Glauben an Jesus den Messias gemacht wurde; das ist für sie ganz klar. Auch in meinen Artikeln und meinen Predigten auf der Internetseite kommt es ganz klar heraus.
Kannst Du noch einmal sagen, wie deine Internetseite heißt?
Du schreibst auch Bücher!
Ja. Drei über Israel – eigentlich vier, denn vor vielen Jahren habe ich ein Buch geschrieben, als ich noch nicht an Israel interessiert war. Der Titel hieß „Le dieci parole“ – die Zehn Worte, d.h. die Zehn Gebote. Ich war schon interessiert an diesem Thema, aber noch nicht an Israel. Das erste der drei Bücher über Israel, das auch auf Deutsch übersetzt ist, heißt „Dio ha scelto Israele“ – Gott hat Israel erwählt. Das ist eine knappe Geschichte des Zionismus. Ich habe gehört, dass das Buch gut angekommen ist, weil es einfach und doch umfassend ist, daher ist es sehr nützlich. Ich hatte einige Artikel für eine Zeitschrift geschrieben, und dann wurde ich gefragt, ob ich sie in besserer Ausarbeitung als Buch veröffentlichen möchte, auch in deutscher Sprache. In dieser deutschen Ausgabe gibt es auch ein Kapitel über die Evangelische Kirche, und daher ist es auch für Deutsche besonders interessant.
Ist das Dein einziges Buch auf Deutsch?
Ja.
Aber Du hast weitere Bücher geschrieben.
Ja, zwei andere. Das eine heißt „Dalla parte di Israele come discepoli di Cristo“ – Auf der Seite Israels als Jünger Christi. Zuerst war es nur ein langer Artikel auf meiner Internetseite. Und noch einmal hat mir ein evangelischer Verlag in Italien vorgeschlagen, ein Buch daraus zu machen und es zu veröffentlichen, und das habe ich gemacht. Zuerst habe ich den Begriff „Nation“ für Israel biblisch beleuchtet, denn ich hatte bemerkt, dass in der Bibel der Begriff „Nation“ wichtig ist. So wollte Gott diese Nation wieder aufrichten. Das andere heißt „La superbia die Gentili“ – Der Hochmut der Heiden, und ist eigentlich das einziges Buch, das ich von Anfang an veröffentlichen wollte. Dafür aber habe ich mehrere Jahre gebraucht, denn es ist ein wichtiges Thema, vor allem für die evangelischen Gläubigen. Ich habe mit einem langen Kapitel über Martin Luther und seinem Antisemitismus angefangen. Viele Gläubige haben mir gesagt: „Ich wusste nicht, dass Luther, so etwas geschrieben hat!“
Es gibt Geschwister, die ich schätze, weil sie die Bibel kennen. Vor der Veröffentlichung wollte ich sie das Buch lesen lassen, damit sie mir sagen, was sie denken. Aber dann habe ich doch beschlossen, es nicht zu tun, denn vielleicht hätten ihre Bemerkungen mich nicht überzeugt und verunsichert. So habe ich beschlossen, das zu schreiben, wovon ich überzeugt war, und die Geschwister, die ich schätze, waren mit mir einverstanden, als sie das Buch lasen. Andere aber haben mir gesagt, das Buch würde für evangelische Leser hier nicht leicht zu verstehen.
Im Zusammenhang mit allem, was Du gesagt hast in Bezug auf Israel, hast du nun einen Wunsch?
Ich sage immer, wir müssen nicht zu hohe Erwartungen haben, sonst werden wir enttäuscht! Meine Wünsche sind eigentlich, dass die Gläubigen im Glauben wachsen, damit sie nicht in die falsche Richtung, gegen Gottes Willen, gehen. Ich kenne die Geschichte der deutschen evangelischen Gläubigen während der Nazizeit ziemlich gut und finde sie wirklich traurig, aber auch lehrreich. Sie haben falsch gehandelt, weil sie falsch über das jüdische Volk gedacht haben. Ihre Gedanken waren nicht in Ordnung, und so dachte ich: “So etwas könnte noch einmal passieren, und das darf nicht sein! Das ist von Satan!”
Deswegen gehe ich mit meiner Arbeit weiter, bis Gott mir zeigt, dass sie nützlich ist.
Vielen Dank!