Ira Lichtenwald
Die Gleichgültigkeit ist schlimmer als der Hass
Ich möchte gleich sagen, dass ich nicht in einer antisemitischen Gesellschaft aufgewachsen bin. Ich wurde geboren und lebte weiter in Kasachstan, in einer Kleinstadt, in der alle Einwohner in drei Gruppen eingeteilt wurden: Kasachen, Russen und Armenier. Es ist verständlich, dass die Kasachen die Ureinwohner waren, die Russen sahen alle sehr europäisch aus, und zu den Armeniern zählten die Mittelasiaten. Deswegen spielte für mich die Nationalität nie eine Rolle und keinen in unserer Stadt interessierte es. Vielleicht aus diesem Grund habe ich sehr leicht angenommen, dass Juden ein von Gott auserwähltes Volk sind. Als ich und mein Mann gläubig wurden, sprachen der Pastor und seine Familie in unserer ersten Gemeinde sehr oft über Israel. Auf diese Weise hatten wir eine Möglichkeit über dieses Volk zu erfahren. Ich danke dem Herrn, dass man uns nie gelehrt hat, dass Israel von Gott verworfen wurde und für uns war es immer das auserwählte Volk. Und ich kann mich noch daran erinnern, wie bei unseren zahlreichen Evangelisationen die Menschen in Russland immer sagten, dass sie ihrem russisch-orthodoxen Gott nicht fremdgehen werden. Diese Aussage war sehr komisch, denn wir wussten, dass Jesus nach dem Fleische ein Jude war.
Das interessanteste fing aber erst in Deutschland an. Als wir hierherkamen und in einer Übergangswohnung lebten, haben wir natürlich angefangen nach einer Gemeinde zu suchen. Die allererste war eine deutsche. Es war eine gute Gemeinde, aber da wir die Deutsche Sprache noch nicht beherrschten, blieb unsere Seele immer hungrig. Unsere Verwandten haben sich auch um uns gesorgt und machten uns mit verschiedenen Gläubigen bekannt. Mit einen sind wir zum Gottesdienst gefahren, doch dem dortigen Pastor haben meine gefärbten Haare nicht gefallen. Und als er erfuhr, dass ich auch Hosen trage, sagte er, dass ich wiedergeboren werden müsse. Es ist doch verständlich, dass wir nie mehr dorthin gegangen sind. Dann kamen zu uns andere Gläubige, für die das Füßewaschen das allerwichtigste Gebot zu sein schien. Und so lebten wir. Die einen trafen mich in der Stadt und fingen an mich zu beschuldigen, weil ich eine Hose trug, die anderen fingen mit uns einen Streit wegen des Füßewaschens an. Ich konnte nicht mehr und betete zu Gott, dass Er uns jemanden aus Seinem Volk schickt.
Gott hat mir auf sehr viele Gebete geantwortet, aber dies war die allerdeutlichste Antwort auf mein Gebet gewesen, denn wir brauchten eine Gemeinde. Und so eines Abends klopfte es an unserer Tür. Als ich aufmachte, sah ich einen jungen Mann und eine junge Frau, die mir etwas sagte und eine Zeitschrift reichte. Ich wollte mich schon entschuldigen und die Tür zu machen, weil ich zuerst gedacht habe, dass dies die Zeugen Jehovas waren, aber dann sah ich, dass diese Zeitschrift „Menora“ hieß und ich war außer mir vor Freude!!! Der Herr sei gepriesen! Ich kannte diese jüdische Zeitschrift, denn ich hatte ein Abo für sie in Russland. Ich hatte so viel Emotionen wegen dieser Antwort Gottes, dass ich wahrscheinlich die jungen Menschen ein wenig verunsicherte.
Am nächsten Tag brachte mich Vita, so hieß diese junge Frau, zu einem Bibelkreis. Auf dem Weg dorthin erzählte mir Vita, dass sie tatsächlich von meiner Reaktion überrascht waren. Sie erzählte, dass die meisten Christen gegen eine Evangelisation des jüdischen Volkes sind und dass in vielen christlichen Gemeinden Ersatztheologie gepredigt wird. Es war für mich schwer es zu glauben, denn in unserer Gemeinde in Russland war das auf keinen Fall so. Aber als ich bei einer Konferenz war, die der jüdischen Evangelisation gewidmet war und bei der die meisten Teilnehmer deutsche Christen waren, hörte ich verschiedene Zeugnisse von Ihnen die besagten, dass es ihnen in ihren Gemeinden wirklich verboten wird, Juden zu evangelisieren. Leider war dies die Wahrheit. Ich war sehr betrübt. Was sind das denn nur für Gläubige, die für alle beten müssen, und ganz besonders für die Juden, die während der letzten 2000 Jahre blind waren, damit wir, Nationen, gerettet werden können? Wir alle lesen doch die eine Bibel, aber übersehen oft manche Stellen, wie Römerbrief 11:25
«Ich will euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, so lange bis die Fülle der Heiden zum Heil gelangt ist». Wir alle lesen aber wollen nicht sehen und behaupten, dass Gott Israel verworfen hat. Ich nehme keine Beispiele aus dem alten Testament. Dort steht alles deutlich geschrieben und man muss keine besondere Weisheit besitzen, um zu verstehen, dass Gott Israel auserwählte, um seinen Plan zu verwirklichen. Aber sehr oft höre ich, dass das Geschriebene über Israel den Nationen zugeschrieben wird. Und wenn diese Christen sagen, dass unter Israel im Alten Testament alle Gläubige verstanden werden müssen, über wen spricht dann Paulus im 11-en Kapitel des Römerbriefes? Warum spricht er so viel über dieses Thema? Es gibt so viele christliche Gemeinden, die Israel nicht lieben und sich als sein Eratz sehen. Ach, wie schön hat doch der Paulus geschrieben: „… damit ihr euch nicht selbst für klug haltet…“ (Röm. 11:25).
Ich bin meinem Herrn unendlich dafür dankbar, dass er mir eine Begegnung mit seinem Volk schenkte. Wenn man die Geschichte und Kultur dieses Volkes kennt, wird das biblische um vielfaches bereichert. Viele Bibelstellen würden für mich unverständlich bleiben, wenn ich jüdische Bräuche und Kultur nicht kennen gelernt hätte. Und die Psalmen? Haben Sie schon mal in Ihrem Leben auf Hebräisch gesungen? Nein? Denn das ist etwas Wunderbares!
Ich kann es nicht erklären, aber dies alles wurde sehr nah. Und die Gewissheit, dass der Herr Jesus auf dieser Sprache gesungen hat, gibt mir noch mehr Freude. Ich bin ihm sehr dankbar, dass ich so viel Liebe für dieses Volk empfangen habe und dass ich jetzt eine jüdisch-messianische Gemeinde besuche. Ich möchte diesem Volk dienen und ich möchte, dass es gerettet wird. Es tut mir weh, wenn christliche Gemeinden so eine Abneigung Israel gegenüber empfinden, denn sie alle lesen auch im Röm. 11:11: „So frage ich nun: Sind sie gestrauchelt, damit sie fallen? Das sei ferne! Sondern durch ihren Fall ist den Heiden das Heil widerfahren…“. Wir müssen für Israel beten und ihm das Evangelium bringen. Können wir sagen, dass wir Gott lieben, sein Volk aber nicht? Ein gläubiger Christ sagte mir einmal, dass man lieben muss, um für jemanden zu beten. Die Gleichgültigkeit ist schlimmer als der Hass. BITTET, und es wird euch gegeben. Der Herr segne uns dabei!