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Gläubig wurde ich 1998, als ich schon 64 Jahre alt war. Ich zähle vom Moment meiner Bekehrung und der Taufe. Man muss ja irgendwie die Zeit der „Rückkehr“ berechnen. Man möchte vielleicht sagen, dass es unmöglich sei so etwas festzustellen, dass dies eine Entwicklung ist, dass man nach und nach „reif“ und „überreif“ wird und noch weitere schöne Philosophie auflisten... Doch im Grunde „habe ich mich ungläubig schlafen gelegt und bin gläubig aufgewacht“, wie es mir eine gläubige Bekannte erklärte. Bei Gott existiert keine Evolution. Er hat alles und sofort geschaffen. Noch gestern konnte ich die Bibel nicht lesen, es war zu langweilig, unverständlich, und heute kann ich es. Es ist wirklich schwierig zu glauben, wenn man es hört, selbst aber nicht erlebt hat! Es ist ein Wunder!

In meinem vergangenen Leben vor meiner Bekehrung gab es die Frage bezüglich des Glaubens nicht. Für mich war der Glaube und die Religion eine Einheit. Ja, ich wusste über manche Religionen und fand es auch zum Teil interessant. Ich besuchte die verschiedensten Tempel, war für die Architektur und Orgelmusik begeistert, aber dabei blieb es auch. Niemand hat uns jemals von Gott erzählt. Ja, wir lasen zwar Dostojewski, aber ehrlich gesagt verstanden wir die Hysterie bezüglich „Gott wird bestrafen“ kaum. Uns berührte dies Ganze nicht. Wir lebten so, wie wir schon immer gelebt haben.

Doch plötzlich kam das Unglück. Und genau zu dieser Zeit befand sich neben uns ein Mensch, der uns von Gott erzählte. Zum ersten Mal! Wir alle dachten nach. Der Herr hat alles vorhergesehen.

Als ich angefangen habe, die Bibel zu lesen, habe ich zum ersten Mal richtig von der Geschichte der Juden erfahren: wer sie sind, woher sie stammen, warum sie solch ein tragisches Schicksal haben und das Wichtigste - ich habe erfahren, woher der Antisemitismus kommt. Zuvor habe ich viele Bücher über den Antisemitismus gelesen, aber keine Antwort gefunden. Das heißt, natürlich gab es in den Büchern Antworten, aber sie gefielen mir nicht, ich habe ihnen nicht geglaubt: die Juden seien schlauer, netter, eben besser, und deshalb liebe man sie nicht.

Als Kind habe ich mich sehr darüber geärgert, dass ich eine Jüdin bin. Warum bin ich keine Russin, oder im schlimmsten Fall auch eine Tatarin, dachte ich. Eine traurige Geschichte. Aber jetzt kann ich darauf stolz sein. Der Herr kam zuerst zu uns. Und uns hat Er Seine Gebote und Sein Gesetz gegeben. Eine andere Frage ist, wie wir Juden damit umgehen. An dieser Stelle meine ich die ungläubigen Juden. Dabei ist diese Wortkombination an sich ein Paradox, zumindest kommt es mir so vor.

Seit 1996 lebe ich in Deutschland und habe mich während der ganzen zwei Jahre vor meiner Bekehrung gegen Gott gewehrt. Das war so anders als das, woran ich gewöhnt war. Den Feind lieben? Die zweite Backe hinhalten? Ich hätte noch nicht mal einfach schweigen können! Auf eine jede Frechheit eine dementsprechende Frechheit als Reaktion. Das war im Großen und Ganzen unsere Lebensnorm. Gehorsam zu sein? Demütig? Waren wir denn jemals so gelehrt worden? Ganz besonders die Generation, die den Krieg erlebt hat, und im Grunde auch alle anderen. Genau dies ist sehr schwierig zu erlernen, aber möglich mit Gottes Hilfe. Jeschua macht auch größere Wunder als solche und auch zu unserer Zeit.

Früher bei einer Bekanntschaft mit einer Person, habe ich immer alle negativen Eigenschaften dieses Menschen bemerkt und notiert: „um später nicht enttäuscht zu werden“, erklärte ich mir selbst.

Nach dem Krieg waren die Worte «Deutscher» und «Deutschland» einfach Schimpfwörter für mich. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie im Alter von sieben Jahren ich aus Moskau wegfuhr, weil die Deutschen schon sehr nah an die Stadt kamen. Auf einmal gab man Fliegeralarm, und wir alle sind vom Zug gesprungen. Ich sah über unserem Zug kreisende Flugzeuge, die ihn beschossen haben. Sie flogen sehr tief und ich hatte das Gefühl, dass ich das Gesicht des Piloten sehen konnte. Dieses Gesicht verfolgte mich mein ganzes Leben lang. Heute sehe ich alles ein wenig anders; Hass (Deutschen gegenüber zum Beispiel), Stolz (daran hat es bei mir nie gemangelt) verlassen mich hoffentlich für immer.

Maria

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